Die „Dietrich Bonhoeffer Friedensarbeit – Ausbildungsförderung“

Hier findet Ihr das Ergebnis der Ausarbeitung eines eigenen Projektes im Bereich Ausbildungsförderung für bedürftige ruandische Jugendliche. Die Konzeption findet Ihr unter

http://www.ruandablog.com/die-dietrich-bonhoeffer-friedensarbeit-ausbildungsforderung/

oder direkt oben unter Unterstützen/Projekte/Die Dietrich Bonhoeffer Friedensarbeit – Ausbildungsförderung

Wenn Ihr Interesse habt meldet Euch bei uns!

Außerdem sind wir dankbar um Eure Rueckmeldungen, Meinungen oder Verbesserungsvorschlaege. Wer uns bei der Projektarbeit unterstuetzen will kann sich ebenfalls gerne melden. Wir suchen ein kompetentes und kreatives Team und Leute, die gut vernetzt sind und sich engagieren wollen.

Wirtschaft

Zu den vielen Dingen auf die wir während unseres Freiwilligendienstes einen veränderten Blickwinkel entwickeln konnten, gehört auch die Beurteilung der Wirtschaft eines Landes. Gerade als Theologe nimmt man ja gerne für sich eine kritische Position gegenüber der Wirtschaft in Anspruch, die wir uns auch grundsätzlich weiterhin erhalten möchten. Dennoch, sollte man nie vergessen, dass man sich eine distanziert-kritische Sicht auf den Kapitalismus und die Wirtschaft erst einmal leisten können muss. Privilegiert durch Kirchensteuer und Beamtenstatus vergisst man nämlich schnell, wie schwer es sein kann an Geld zu kommen und welcher Existenzkampf dahinter steht. In Ruanda konnten wir nämlich gerade im kirchlichen Bereich beobachten, wie hart der Überlebenskampf und wie groß die Sorge um die monatlichen Gehälter oft war. Es war daher nicht verwunderlich, dass „Geld“ oft das Hauptthema war mit dem sich die Gemeinden auseinandersetzten. Der einzige Ausweg waren dabei dann oft innovative Projekte, die die finanzielle Situation der Gemeinde verbessern sollten. Kaninchenzucht, Teestube, Landwirtschaft – Kapitalismus in seiner ursprünglichsten Form. Diese Erfahrung führte uns zu der Erkenntnis, dass ein Streben nach Verbesserung der materiellen Situation eigentlich absolut natürlich und normal ist. Fehlt dieser Impuls, so ist man vollkommen auf die Hilfe Dritter angewiesen und die gibt es hier (materiell betrachtet) einfach nicht oder nicht mehr (die Entwicklungshilfegelder zumindest für die EPR wurden in den letzten Jahren stark zurückgefahren). Reichtum und Theologie stehen also keinesfalls in einem natürlichen Widerspruch. Im Gegenteil, im hiesigen Kontext muss ein Pfarrer sogar reich sein, um beispielsweise seinen fürsorglichen Aufgaben gerecht werden zu können. Bevor man also allzu lautstark und vor allem fundamental gegen die Wirtschaft wettert, oder – wie in unserem Fall – sich erstmal enttäuscht beklagt es ginge in den Kirchengemeinden immer nur ums Geld, sollte man sich bewusst machen, wo das Geld denn herkommt. Und es sind schlicht die Betriebe und Fabriken, die den Menschen Arbeit und damit die Möglichkeit Steuern zu bezahlen, ermöglichen.

Was wir im Kleinen in den Kirchengemeinden hautnah erleben konnten, spiegelt sich ebenso
in der wirtschaftlichen Situation des ganzen Landes wieder. Wie sehr ein Land auf eine funktionierende Wirtschaft angewiesen ist, fiel uns in Deutschland nie so sehr auf wie hier. In Deutschland hat man oft das Gefühl, wenn es irgendwo brennt, dauert es ewig bis einen etwas davon persönlich erreicht oder betrifft. In Ruanda sind die Verbindungen weniger weitläufig und auch die Alternativen (z.B. gibt es im Logistikbereich nur den Straßenverkehr, keine Bahn und keine Schiffe) fehlen. Wenn ein Sektor zusammenbricht kann das fatale Folgen für alle nach sich ziehen.
Unablässig vergrößert die ruandische Regierung das Straßennetz, um für Investoren attraktiver zu werden. Ohne Straßen könnten nicht einmal die Tanklaster nach Ruanda fahren, die Folge wäre ein Zusammenbruch des Transport- und Logistiksektors. Tausende könnten nicht mehr zu Arbeit fahren – ein Zusammenbruch zahlreicher Betriebe wäre die Konsequenz. Das gleiche Szenario würde Ruanda ebenfalls bevorstehen, wenn sich die Benzinpreise plötzlich um ein vielfaches verteuern würden. Wir vermuten daher, dass die Politik bei den Benzinpreisen für Stabilität sorgt (der Preis für Diesel blieb mehr oder weniger 6 Monate lang gleich).

Da Ruanda noch ein Agrarstaat ist (90% der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft, viele sind davon Selbstversorger), muss Technologie und Industrie teuer importiert werden, oder – falls die steigende Nachfrage im Land nicht bedient werden kann – wandern gerade diejenigen, die das Land innovativ voranbringen könnten ins Ausland ab. Baustoffe, wie Metall, Beton oder Glas sind immer noch nahezu unbezahlbar. Ebenfalls technische Geräte: Eine Motorsäge (Stihl) kostet 1500 Euro, ein Rasierapparat (Philipps) 150 Euro. Man beachte: ein durchschnittlicher Arbeiter verdient hier ca. 3 Euro am Tag. Die übermäßig hohen Kosten für die Technik hemmen auch die Entstehung von Betrieben wie beispielsweise Sägewerken oder nahrungs- und, milchverarbeitender Industrien. Obwohl Nachfrage und Arbeitskräfte da sind ist sind die Kosten in die wirtschaftliche Selbständigkeit noch viel zu hoch. Und so bezahlt man für ein Päckchen Cornflakes weiterhin 10 Euro. Die ruandischen Firmen, die hierzulande maschinell produzieren kann man an zwei Händen abzählen.
Lässt sich auf diverse Güter partout nicht verzichten, läuft die Produktion oft völlig unwirtschaftlich und veraltet ab. Das gilt in erster Linie zum Beispiel für ganz elementare Dinge wie Strom. 50% des Stroms werden in Ruanda mithilfe von Dieselgeneratoren (!) gewonnen. Die einziger Steigerung wäre noch die Generatoren mit Euronoten zu heizen – von den klimatischen Folgen ganz zu schweigen.

Erst hier wurde uns bewusst, was es eigentlich für ein Vorteil ist, dass in Deutschland nahezu ALLES im Land produziert werden kann (außer vielleicht Bananen).
Die Wirtschaft ist das Rückrat eines Industriestaates – an diesem Satz ist wirklich etwas dran. Krankt die Wirtschaft, so fällt das Land zwangsläufig in agrarstaatliche Strukturen zurück.
All diese allgemeinen Fakten waren uns natürlich nicht neu, allerdings konnten wir deren Bedeutung hier deutlicher spüren. Was hängt wie zusammen – was hängt wo alles dran. Auch gerade im Hinblick auf die weltweite Finanzkrise war dies eine lehrreiche Erfahrung für uns, die uns die Zusammenhänge nun etwas klarer und vor allem realistischer beurteilen lässt.

Dennoch kann man in Deutschland und in anderen Industriestaaten wiederum sehr gut beobachten, wie sich die wirtschaftliche Dynamik immer zügelloser zu verselbständigen scheint. Beispiele gibt es genug (ich verweise auf Jean Zieglers „Imperium der Schande“, unter Buchtipps/Literaturhinweise). Erst vor kurzem fiel mir ein schockierender Bericht auf tagesschau.de zum Thema Lebensmittelverschwendung in Deutschland auf. Tonnenweise Lebensmittel werden in Deutschland täglich weggeschmissen, um unter anderem die Nachfrage stabil zu halten. Diese, aus meiner Sicht, pervertierte Form des Kapitalismus, die sich nur noch an Zahlen und Nullen orientiert und die Verbesserung der Lebenssituation vollkommen aus den Augen zu verlieren scheint, muss scharf verurteilt werden. Natürlich kann man einwenden, dass die „Verbesserung der Lebenssituation“ Ansichts- und vor allem Typsache sei, doch genauso wie es unredlich wäre das System des Kapitalismus als solches, an eben diesen Extremen gemessen, komplett in Frage zu stellen, wäre es falsch eben diese Perversionen als normal oder systemspezifisch zu legalisieren.
Zunächst dient es dem Menschen und hat daher auch ihre Berechtigung, eben daran also –ob es dem Menschen denn wirklich dient- sollte man es auch messen.

Unbedingt dazu lesen: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/lebensmittel132.html

Für alle Naturfreunde gibt es jetzt die schönsten Fotos aus Ruandas Tier- und Pflanzenwelt! Viel Spass unter Fotoalbum „Best of Tiere und Pflanzen“…

Hallo ihr Lieben,

bevor wir nun wieder für zwei Wochen Lutzine besuchen, also aufs Dorf nach Kiruhura gehen, gibts nochmal ein paar neue Bilder von dem Besuch von meiner Mama und meiner Schwester. An dieser Stelle soll nochmal gesagt werden, dass es eine sooooo schöne Zeit mit euch zwei war!!! Also nun könnt ihr nochmal in Erinnerungen schwelgen unter Fotogallerien -> Besuch von Antonia und Marlies

Liebe Grüße ins wunderschöne Allgäu,
eure Susi

Namenskultur

Hier in Ruanda gibt es eine ganz eigene Namenskultur. Anders als in Deutschland, gibt es hier keine Familiennamen. D.h., dass die Kinder nicht den gleichen Namen haben, wie ihre Eltern, auch die Geschwister und sogar die Ehepartner haben unterschiedliche Namen. Man kann also nicht, wie in Deutschland, aufgrund des Nachnamens auf die Verwandschaftsverhältnisse schließen. Normalerweise hat hier jeder zwei Namen, jedoch nicht einen Vor- und einen Nachnamen, sondern einen Namen auf der Landessprache in Keniaruanda und einen Namen in Französisch. Den ersten Namen, den in der Landessprache, erhält das Kind etwa einen Monat nach seiner Geburt. Während in Deutschland ein Kind normalerweise direkt nach der Geburt benannt wird, wartet man in Ruanda bewusst mindestens einen Monat ab, um das Baby erst einmal kennen zu lernen und dann einen Namen geben zu können, der auch wirklich zu dem Kind passt. Den zweiten, französischen Namen erhält man dann mit der Taufe. Da sich die meisten Leute hier erst im jugendlichen Alter taufen lassen, können sie sich diesen auch oft selbst aussuchen. Nicht selten sind dies dann Namen aus der Bibel, wie z.B. Samuel, Hiob, Sara oder Elisabeth. Als wir dann mal genauer nach der Bedeutung der Namen auf Keniaruanda gefragt haben, mussten wir oft herzhaft lachen und hatten auch das Gefühl, dass es manche Eltern mit der Suche nach einem passenden Namen nicht so genau genommen haben. Oft beziehen sich diese Namen nämlich ganz einfach auf die Situation, in der das Kind geboren wurde. So heißen hier viele Leute „Safari“ also „Reise“, was sich jedoch nicht darauf bezieht, dass das Kind auf einer Reise geboren wurde, sondern, dass zu dem Zeitpunkt der Geburt der Vater auf Reisen, also nicht zuhause war. Ein Freund von uns heißt „Buhake“, zu Deutsch „Feudalsystem“, auch in Deutschland eher ein unüblicher Name. Der Name des Pfarrers in Kiruhura, bezieht sich auf ein eher schwieriges Nachbarschaftsverhältnis: Da seine Eltern wohl mit den Nachbarn im Clinch lagen und seine Geburt in diese Zeit fiel, haben sie ihn „Muhozi“ genannt, was übersetzt so viel heißt wie: „Die böse Waffe gegen die Feinde“. Anscheinend hielt der Nachbarschaftsstreit jedoch länger an: Sein kleiner Bruder heißt nämlich übesetzt: „Die übertrieben böse Waffe gegen die Feinde“. Manchmal stellt sich jemand vor als „der Neunte“, also war er wohl das neunte Kind. Auch sind Namen wie „Regen“, „Donner“ oder „Auto“ nicht unüblich, welche sich auf das Wetter der Geburtsstunde oder den Geburtsort beziehen. Einige Eltern machen aus ihrer Einfallslosigkeit gar keinen Hehl und nannten ihr Kind einfach „Simbisi“, zu Deutsch „Ich weiß nicht“. Bitter ist es, wenn man „Schade“ heisst, da müssen die Eltern später wohl noch einiges erklären. Grundsätzlich ist es oft so, dass sich bestimmte Namen in einer bestimmten Altersgruppe sehr häufen. So ist es uns passiert, dass, als wir die Namen von einer Gruppe Jungs in CPAJ wissen wollten, sich ein Junge gemeldet hat und gesagt hat: „Ich heiße Jean Piere, alle anderen heißen Jean Claude!“ Hier gibt es übrigens noch eine Besonderheit: Es ist total unüblich, dass sich Eheleute gegenseitig mit Namen anreden. So sagt die Frau zu ihrem Mann z.B. „Pastor“, also benutzt einfach die Berufsbezeichnung. Der Mann nennt seine Frau einfach nach dem erstgeborenen Kind, also z.B. „Mama Sam“. Diese Benennungen gehen so in den allgemeinen Sprachgebrauch über, dass sogar wir die Frauen immer mit „Mama …“ anreden und deshalb oft ihren richtigen Namen gar nicht wissen. Auch werden alte Frauen einfach Umukekuru genannt, übersetzt: „alte Frau“, was hier jedoch eine respektvolle Anrede für Frauen ist, die das gebärfähige Alter überschritten haben. Die Steigerung davon ist dann „Kaka“, zu Deutsch „sehr alte Frau“ für diejenigen, für die die Bezeichnung „alte Frau“ eine glatte Untertreibung wäre.

News von der Kuh

Vom 1. bis zum 20. Juli hatten wir Besuch aus Deutschland. Susis Mutter und Schwester waren bei uns in Ruanda und wir konnten Ihnen knappe drei Wochen lang das Land und die Projekte zeigen, in denen wir die vergangenen vier Monate gearbeitet haben.

In diesem Zusammenhang haben wir natürlich auch einen kurzen Abstecher nach Kiruhura gemacht, um zu schauen, wie es denn Lutzine so geht.

Überrascht konnten wir zunächst feststellen, dass sich seit unserem letzten Aufenthalt einiges verändert hatte. Das Haus für die geplante Teestube war fertig gestellt, einschließlich einiger einfacher Holztische und Bänke. Und bereits seit zwei Wochen, wird dort auch schon Tee und traditionelles Brot an die Schüler der nahe gelegenen Schule verkauft. Wir waren vollkommen platt, wie weit die Planungen bereits vorangeschritten und verwirklicht worden waren. Auch Lutzine selbst fraß gesund und munter den ganzen Tag und gibt mittlerweile 12 Liter Milch am Tag. Wie wir zudem feststellen konnten, war eine weitere positive Nebenwirkung der Kuhspende, die neu erlangte Kreditwürdigkeit der Gemeinde. Mit der Kuh als Sicherheit konnte Pfarrer Emmanuel nämlich nun einen (kleinen) Kredit bei einer ruandischen Bank aufnehmen, mit dem weitere Projekte vorfinanziert werden können.

Darüber hinaus konnten wir in Kiruhura, wie wir bereits angekündigt hatten, auch nochmals eine große Kleiderspendenaktion durchführen, die aus den restlichen Spendengeldern für die Kuh, finanziert werden konnte. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an alle Spender! Dabei hat die dortige Gemeinde im Vorfeld eine Liste besonders bedürftiger Familien erstellt, sodass die Kleider geordnet an die richtigen Leute verteilt werden konnten. Die Verteilung hat dann auch durch tatkräftige Unterstützung des dortigen Kirchenvorstands und Antonia und Marlies gut geklappt. Insgesamt waren wir also außerordentlich positiv überrascht über die Entwicklung im Dorf und beschlossen daraufhin auch im August noch einmal für einen letzten längeren Besuch nach Kiruhura zu kommen.

Fotos dazu findet Ihr im neuen Album „News von der Kuh/Kleiderspendenaktion“…

Selbstjustiz

Ruanda ist ein Land mit stabiler Sicherheitslage. Dieses Urteil können wir nach nun fast fünf Monaten im Land vorbehaltlos unterschreiben. Obwohl wir als Weiße deutlich mehr Geld zu Verfügung haben als der Durchschnitt der Bevölkerung gab es die ganze Zeit über gerade einmal zwei eher dilettantische Taschendiebstahlversuche zu verzeichnen. Verglichen mit europäischen Großstädten, wie zum Beispiel Istanbul ist dieser Schnitt nicht der Rede wert. Natürlich ist die Polizei- und Militärpräsenz im Land für europäische Maßstäbe ungewohnt hoch, was uns zunächst als Erklärung für die offenkundig eher geringe kriminelle Energie zumindest im Alltagsleben, diente.

Nachdem wir aber mittlerweile bereits zweimal unfreiwillig Zeugen eines schrecklichen Schauspiels wurden, wurde uns auf bittere Weise deutlich, warum darüber hinaus Stehlen in Ruanda nicht besonders ratsam ist. Wird ein Dieb in Deutschland ertappt, wird er gefasst und anschließend der Polizei übergeben. Dies ist zwar eine mentale Demütigung für den Ertappten die Festnahme zieht aber im Normalfall keinerlei körperliche Züchtigungen oder Schmerzen nach sich, es sei denn der Dieb wehrt sich ungewöhnlich heftig oder wird aggressiv. In Ruanda ist das anders: Zwar hält sich auch die Polizei mit Prügeln und Schlägen zurück, in der Mentalität der Menschen hier ist es jedoch nahezu flächendeckend verankert, dass eine Straftat wie Diebstahl auch mit körperlichen Züchtigungen vergolten werden muss. Auf die Polizei verlässt sich hier jedoch keiner: Der Staat lässt die Diebe, um Gefängniskosten zu sparen, sowieso nach wenigen Tagen oder sogar Stunden wieder frei, so die landläufige Meinung vieler Ruander, und kann daher eine adäquate Bestrafung der Täter im Sinne der Bevölkerung oder der Geschädigten nicht garantieren. Ob sich diese Position auf sämtliche Straftaten (also auch z.B. Mord) bezieht, wissen wir nicht, in Bezug auf Diebstahl jedoch, verhält es sich so. Wie unglaublich schockierend so ein Szenario für einen Europäer ist, für den sein Recht auf Körperliche Unversehrtheit so selbstverständlich ist, wie das Amen in der Kirche, konnten wir bereits zweimal unfreiwillig erleben. Unterwegs auf einem großen Markt in Kigali sahen wir plötzlich einen jüngeren Mann schnell davonrennen, gefolgt von einer johlenden Menschenmenge. In Sekundenschnelle kamen, angelockt vom Aufruhr, unzählige weitere Menschen herbei gerannt und so wurde der Täter recht schnell zu Boden gebracht. Dann jedoch fingen plötzlich alle, die um den hilflosen, am Boden liegenden Mann herumstanden an, wild auf den Dieb einzuschlagen, mit den Fäusten, mit den Füßen, sogar mit Stöcken. Immer mehr Leute kamen herbeigerannt, laut rufend, gepackt vom Rausch der Gewalt, so kam es uns vor. Hilflos versuchte der junge Mann noch zu entkommen, doch die Masse der Leute ließ ihm keine Chance. Sie prügelten auf ihn ein. Ohne Unterlass und mit sichtbarer Brutalität.

Schockiert, hilflos mussten wir dem Geschehen zuschauen. Nach einigen Minuten roher Gewalt gegen den Täter griff die Polizei, die nicht weit davon entfernt stand, das Geschehen abwartend beobachtend, schließlich ein, und schleppte den blutenden, weinenden (!) und geschundenen Dieb in Richtung ihres Polizeiautos.

In Gesprächen mit Einheimischen über dieses Ereignis stellten wir fest, dass dieser Umgang mit Dieben allgemein anerkannt und akzeptiert zu sein scheint. Nicht nur in Ruanda, sondern in ganz Ostafrika. In Uganda komme es sogar vor, so wurde uns berichtet, dass Diebe am Ort des Geschehens zu Tode zu geprügelt werden, Kritische Stimmen zu dieser Praxis hörten wir erschreckenderweise kaum.  Natürlich kann man sich damit etwas trösten, dass ein ruandischer Dieb genau weiß, was ihm im Falle des „Erwischtwerdens“ blüht, dennoch ist die Hilflosigkeit mit der man einer solchen Situation gegenübersteht unerträglich. Einzig eine Möglichkeit bleibt: Man nimmt seine Kamera, läuft auffällig mitten zum Schauplatz des Geschehens und fängt an das Szenario zu fotografieren. Dann greift die Polizei sofort ein. Für ein gutes Image gegenüber den Weißen, für den Schein eines Rechtstaats tut die Polizei hier alles: Dann erspart sie sogar einem chancenlosen Dieb rohe Gewalt und die Prügel des aufgebrachten Mobs.

Neue Bilder vom Kivu-See

Nach der stressigen Zeit in Ruhengeri waren wir für eine Woche in einem Gästehaus der Presbyterianischen Kirche am Kivu-See. Die Gegend ist atemberaubend schön. Der Kivu-See liegt im Westen zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo, ist ca. fünfmal so groß wie der Bodensee und nahezu kaum touristisiert. Nur wenige Häuser und Hotels sind an der Küste zu finden. Stattdessen ist der See größtenteils von unberührter Naturlandschaft umgeben: Wälder und Felsen fallen steil in den See ab, Palmen, einsame Inseln, oft auch Sandstrand. An Gewässern dieser Größe ist in Europa meist jeder Küstenstreifen bebaut oder zumindest in Privatbesitz.
Ähnlich einladend ist natürlich auch das Preisniveau. Da die Wasserqualität hoch ist und es sowieso ganzjährig angenehm warm ist, kann im Kivu-See jederzeit bedenkenlos gebadet werden. Ein besonders geeigneter Platz also, um einmal eine Woche zu chillen, vorrausgesetzt man befindet sich auf der sicheren, ruandischen Seite. Die prekäre Sicherheitslage im Ostkongo und die damit verbundenen gewaltsamen Konflikte werden nämlich wohl noch lange dafür sorgen, dass diese wunderschöne Gegend touristisch unerschlossen bleibt.

Einige Bilder findet Ihr im neuen Album: „Lake Kivu“…

Verständigungsprobleme

Kurz nach dem Eintreffen der Kuh in Kiruhura ging auch unser Aufenthalt in der kleinen Dorfgemeinde zu Ende. Zunächst verbrachten wir wieder einige Tage in Pascals Familie in Byumba, bis wir zu unserer nächsten Station aufbrachen: Ruhengeri.

Ruhengeri ist die zweitgrößte Stadt Ruandas nach Kigali und befindet sich ebenfalls im Norden des Landes. Ihre geographische Lage ist insofern besonders reizvoll, da die Stadt am Fuße einer großen Vulkan Kette, der acht so genannten Virunga-Vulkane, liegt. Diese acht Vulkane befinden sich im Grenzgebiet zwischen Uganda, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo und sind zwischen 3000 und 4500m hoch. Einige dieser Vulkane gelten heute noch als aktiv. Der auf kongolesischer Seite befindliche Nyiragongo beispielsweise, brach im Jahre 2003 derart heftig aus, dass in der nahe gelegenen Stadt Goma 2000 Menschen ums Leben kamen. Dieser Vulkan spuckt auch heute noch permanent Lava und gilt als einer der aktivsten Vulkane Afrikas.

Das Gebiet um diese Vulkane herum wurde bereits vor mehr als 40 Jahren zum Virunga-Nationalpark erklärt und ist damit Heimat zahlreicher seltener Pflanzen und Tierarten. Besonders bekannt sind darunter die seltenen Berg-Gorillas, deren Bestand durch den engagierten Einsatz der betroffenen Regierungen und zahlreicher Naturschutzorganisationen zumindest auf ruandischer und ugandischer Seite als gesichert gilt. Natürlich haben wir die Gelegenheit auch genutzt den Park zu besuchen. Über dieses einmalige Erlebnis werden wir aber einmal in einem anderen Artikel berichten.

 

In Ruhengeri waren wir im Haus des Dekans der Region Nordruanda untergebracht, was natürlich auch Auswirkungen auf unsere Tätigkeit in dieser Zeit haben sollte. Wir wurden sehr herzlich von der Gemeinde empfangen und Jean-Marie gab sich vom ersten Augenblick an größte Mühe uns einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu bieten. Dennoch, schon bei unserer ersten Begegnung mit der Gemeinde, dem Pfingstgottesdienst, machte sich bereits ein mulmiges Gefühl bei uns breit, denn die Rolle, die uns dort plötzlich anhaftete, unterschied sich wesentlich von der Rolle, in der wir uns sahen.

Sämtliche Vertreter aller Gemeinden der Region waren angereist, um die Gäste aus Deutschland zu empfangen, wir wurden gleich zu Beginn um eine kleine Ansprache gebeten und im Anschluss an den Gottesdienst fand uns zu Ehren auch noch ein kleiner Empfang statt. Kurz gesagt, wir wurden behandelt wie die offizielle Delegation einer Kirche, NGO oder Ähnlichem. Obwohl wir natürlich anfangs ziemlich überrumpelt und überfordert mit dieser Situation waren (was aber in letzter Zeit öfter mal der Fall war und wir uns daher schon etwas daran gewöhnt hatten), war das besonders Unangenehme für uns, die ungemein großen Erwartungen an uns, die von Beginn an im Raum standen. Da wir aber gleichzeitig beobachten konnten, wie sehr sich alle um uns herum Mühe gaben und wahrscheinlich keiner auch nur ahnte (auch der Dekan nicht), dass diese Art des Willkommens definitiv nicht unseren Vorstellungen entsprach, wurde uns klar, dass es offensichtlich im Vorfeld versäumt wurde unsere Rolle und unsere Aufgabe während unseres Besuches deutlich klarzustellen.

 

Geduldig ließen wir aber zunächst alles über uns ergehen und spielten das Spiel mit, war es ja beinahe rührend wie sehr sich alle um uns kümmerten und sich bemühten uns einen schönen Empfang zu bereiten. Geradezu fatal wäre es in dieser Situation gewesen die Gemeinde brachial vor den Kopf zu stoßen. Denn verstanden hätte dann unser Verhalten vermutlich keiner.

Nach dem darauf folgenden Tag aber, an dem wir zwei Gemeinden, eine Schule und eine Kooperative für Strickkleidung besichtigt hatten, wurde uns klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Wie wir bereits befürchteten wurden wir zunächst überall wieder offiziell Empfangen (Ständchen, Ansprache und detaillierter Lagebericht über die derzeitige Gemeindesituation durch den Pfarrer, Imbiss), anschließend wurden auch unterschiedliche Anliegen an uns herangetragen, wie zum Beispiel der Bau mehrerer Kirchen, Schulen oder Pfarrhäusern, die wir natürlich alle enttäuschen mussten.

Am Abend redeten wir dann mit Jean-Marie Klartext und klärten unseren sichtlich überraschten Gastgeber über unsere Sicht der Dinge auf. Wir erklärten Ihm, dass wir Studenten sind und Ruanda als Privatpersonen, nicht als Vertreter irgendeiner Landeskirche oder Hilfsorganisation besuchen, um Projekte und Gemeinden der presbyterianischen Kirche primär mit unserer Arbeitskraft zu unterstützen. Grund unseres Freiwilligendienstes sei vornehmlich privates Interesse an interkulturellen und interreligiösen Erfahrungen, sowie Erfahrungen im sozialen Bereich und im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Weder hätten wir daher ein offizielles Mandat und finanzielle Mittel, noch sehen wir es als primären Teil unserer Aufgabe an, im großen Stil Partnerschaften mit deutschen Gemeinden zu vermitteln oder große Bauprojekte zu verwirklichen. Vor allem aber hatten wir keine Lust am laufenden Band Erwartungen und Hoffnungen vieler Menschen zu enttäuschen.

Glücklicherweise verlief das Gespräch mit Jean Marie konstruktiv und er hatte Verständnis für unsere Lage. Es war einfach nicht rechtzeitig kommuniziert worden und nun war die Kacke am dampfen.

Für grundlegende Änderungen war es aber bereits zu spät, standen doch für die nächsten Tage insgesamt 10 Gemeinden auf dem Programm, denen unser Besuch bereits seit Langem angekündigt war. Da sich Jean-Marie gegenüber uns äußerst verständnisvoll zeigte und wir einerseits natürlich auch verstehen konnten, dass er nun auch nicht einfach einen Rückzieher machen konnte, andererseits wir ja auch gewillt und finanziell in der Lage waren die Gemeinden mit kleineren Projekten zu unterstützen, bemühten wir uns um Schadensbegrenzung für alle Beteiligten. Es musste eine für alle akzeptable Lösung für die Gestaltung der kommenden Gemeindebesuche gefunden werden.

Ein weiteres Problem jedoch war die Zeit. Hatten wir in Kiruhura ausreichend Zeit und Gelegenheit die Gemeindesituation kennen zu lernen, bevor man sich über Art und Weise der Unterstützung Gedanken machte, um schließlich gezielt auf die Gemeindesituation möglichst exakt zugeschnittene Projekte initiieren zu können, war dieses Vorgehen nun nicht möglich. Die Gemeindebesuche deshalb einfach abzusagen und den Gemeinden die Unterstützung, die wir anzubieten hatten zu versagen, kam für uns aber auch nicht in Frage, weil, das darf man bei allem nicht vergessen, die Mehrzahl der Gemeinden wirklich in einer katastrophalen finanziellen und infrastrukturellen Lage war.

Trotzdem mussten und wollten wir auch den adäquaten Einsatz der uns anvertrauten Spendengelder garantieren. Wir beschlossen daher, jeder der 10 Gemeinden Nutztiere für den Beginn einer Tierzucht im Wert von umgerechnet 60 Euro zu spenden. Dies waren je nach Verhandlungsgeschick der Verantwortlichen 2-4 Schweine, Schafe oder Ziegen. Da es für uns nicht in Frage kam jemandem Geld in die Hand zu drücken, unterbreitete von nun an Jean Marie den Verantwortlichen der Gemeinden im Vorfeld unseres Besuches unser Unterstützungsangebot. Je nach dem welche Vorrausetzungen (Ställe, Zucht Know-How etc.)

in der jeweiligen Gemeinde vorhanden war, wurden die Tiere entweder direkt im Dorf oder auf einem Markt in der Nähe zuerst von den Verantwortlichen ausgesucht, anschließend von uns eigenhändig bezahlt und schließlich in die Gemeinde gebracht.

Im Optimalfall brachten wir dann die Schweine, Ziegen oder Schafe dann gleich bei unserem Besuch mit und alle Beteiligten freuten sich. Die klare Vorabinformation für die Gemeinden enthielt neben der deutlich definierten Art und Weise der Unterstützung auch noch eine Klärung unserer Rolle und Funktion, was dazu führte, dass uns unangenehme Anfragen und die Enttäuschung überdimensionaler Erwartungen erspart blieben –, die Gemeinden waren überrascht und unglaublich dankbar über die Tierspende und die Besuche verliefen dementsprechend entspannt.

So konnten wir alles noch einmal zum Guten wenden. Dennoch haben wir aus der Sache einiges gelernt,  müssen wir uns doch fairerweise eingestehen, dass auch wir es versäumt hatten vor unserem Aufenthalt in Ruhengeri unsere Absichten und unsere Rolle während unseres Besuchs deutlich klarzustellen, oder vielmehr uns dabei auf Andere verlassen hatten. Daher war unsere Situation sicher auch selbstverschuldet. So sond  wir dennoch, was die Vertretung eigener Interessen nach Außen anbelangt, wohl ein Stück selbstbewusster geworden.

Das Hausmädchen

Sie ist morgens die Erste, die aufsteht, abends die Letzte, die ins Bett geht. Sie hat keinen Urlaub, keinen freien Tag, kein Feierabend. Ein normaler Tag aus dem Leben eines Hausmädchens:
5:00 Uhr Aufstehen
5:10 Uhr Feuer anschüren
5:20 Uhr Wasser aufsetzen
5:30 Uhr heißes Wasser zum Duschen für die „Hauseltern“ bereitstellen
5:35 Uhr mit dem restlichen heißen Wasser Tee kochen
5:45 Uhr Frühstück richten
6:00 – 8:00 Uhr Geschirr vom Vortag abspülen/aufräumen
8:00 – 9:00 Uhr Boden wischen
9:00 Uhr beginnen mit dem Mittagessen, d.h. – Kartoffeln/Süßkartoffeln schälen und   kochen – Aus dem Reis die Steine aussortieren und kochen – Bohnen, Erbsen, Soße kochen Das klingt zwar nicht so viel, dauert aber wirklich immer 3-4 Stunden bis es fertig ist! 14:00 Uhr Essen
15:00 Uhr abspülen
16:00 Uhr beginnen mit dem Abendessen
20:00 Uhr Essen
21:00 Uhr Abräumen und draußen aufräumen
22:00 Uhr schlafen
In den „Zwischenzeiten“ auch noch Wäsche waschen, natürlich von Hand! Hier hat fast jede Familie ein Hausmädchen, da man das alles auch alleine nicht bewerkstelligen kann. So hilft die „Hausmutter“ in der Regel auch mit, der Mann macht natürlich nichts! Zu Beginn war diese Sache mit dem Hausmädchen für uns sehr befremdlich, wir haben uns einfach unwohl gefühlt, uns so bedienen zu lassen. Die Hausmädchen schlafen in einem Raum neben der Küche, oder haben wenn es gut läuft ein kleines Zimmer im Haus. Sie essen alleine draußen in der Küche, oder, was für uns noch ein blöderes Gefühl war, sie warten, bis wir am Tisch fertig gegessen haben und essen dann von unseren gebrauchen Tellern das, was noch übrig ist. Und für das alles, bekommt ein Hausmädchen, je nach Kochkunst, umgerechnet 8 bis 10 € im Monat, auf dem Land auch mal nur 6€! Es hat lange gedauert, bis wir diesen Teil der ruandischen Kultur akzeptieren konnten. Und trotz dieser harten Bedingungen, haben wir bis jetzt immer nur äußerst fröhliche, offene und vergnügte Hausmädchen kennen gelernt. Meist gehen sie laut singend, auch gerne mal tanzend und gut gelaunt ihrer Arbeit nach. Die Institution des Hausmädchens hat zudem auch eine wichtige soziale Komponente hier: Oftmals sind die Hausmädchen Waisen, oder auch behinderte (z.B. taube) Mädchen, die so in Familien aufgenommen werden und dort Arbeit, Essen und einen Schlafplatz haben. Viele Familien versuchen auch dem Hausmädchen den Zugang zu den weiterführenden Schulen zu ermöglichen, indem sie die Schulgebühren für es bezahlen. Meist ist es so geregelt, dass das Mädchen erst ein Jahr in der Familie arbeitet und dann zur Schule gehen darf. Beides zur gleichen Zeit ist nicht möglich! Um ein Hausmädchen zu finden, wendet man sich oft an Bekannte oder Familien in der Nachbarschaft, die Töchter im Alter von fünfzehn bis siebzehn Jahren haben. Dann geht man zu den Eltern und fragt um Erlaubnis, ob die Tochter in seinem Haus als Hausmädchen arbeiten darf. Willigen die Eltern und die Tochter ein, so zieht das Mädchen zu der Familie, für die sie in Zukunft arbeitet. In der Regel bleibt es dort auch so lange, bis es Heiratet, eine eigene Familie gründet und wenn es gut läuft, dann auch selbst ein Hausmädchen hat. Aufgrund dessen, dass wir hier nur in Pfarrfamilien untergebracht waren, sahen wir vor allem die positiven Seiten, dennoch lässt sich nicht abstreiten, dass das Hausmädchen in völliger Abhängigkeit der Familie lebt und diese Abhängigkeit eben auch missbraucht werden kann. Auch wenn wir in den letzten 4 Monaten zur genüge die Vorzüge und Bequemlichkeiten, die ein solches Hausmädchen mit sich bringt, genießen durften, ist es uns nach wie vor lieber, doch selbst den Spüllappen in die Hand zu nehmen.