Die Genozid-Gedenkwoche

Der Voelkermord von 1994 haengt wie ein unsichtbarer Schleier ueber Ruanda. Alle Froehlichkeit und Geschaeftigkeit der Menschen tritt zurueck, wenn Gedanken und Gespraeche dieses schreckliche Ereignis streifen, mit dem Ruanda bis heute international Aufsehen erregt.
Am 7. April wurde in Ruanda der 17. offizielle Gedenktag des Genozids begangen, an den sich eine ganze Gedenkwoche mit verschiedenen Aktivitaeten anschloss. Wir moechten dieses aktuelle Ereignis nun zum Anlass nehmen, um etwas ausfuehrlicher auf dieses dunkle Kapitel der Geschichte Ruandas einzugehen, an dem man nicht vorbeigehen sollte und kann, wenn man einige Zeit hier verbringt.

Der Voelkermord

Gerade einmal 17 Jahre ist es her, als sich die Ethnie der Hutu, der etwa 70% der Bevoelkerung angehoerten gegen die Ethnie der Tutsi (ca.10%) erhob und innerhalb von drei Monaten fast 1 000 000 Maenner, Frauen und Kinder auf grausame Weise (meist mit Macheten/Hackmessern) abschlachtete. Die Ethnien Hutu, Tutsi und Twa wurden von der einstigen Kolonialmacht Belgien nach fragwuerdigen Kriterien (Nasenkruemmung, Braunton der Haut…) eingefuehrt, um eine kleine Minderheit der Bevoelkerung Ruandas (in diesem Fall die Tutsi) bewusst mit Privilegien auszustatten mit dem Ziel eine elitaere Identitaet innerhalb dieser Gruppe zu schaffen. Die neu geschaffene und der Kolonialmacht  hoerige „Elite“  verwaltete nun das Land selbststaendig und die Kolonialmacht profitierte nun ausschliesslich wirtschaftlich, ohne dass ein grosser belgischer Staatsapparat in der Kolonie noch von Noeten war. Die Unterscheidung nach der Ethnie wurde jedoch auch nach der Unabhaengigkeit 1962 beibehalten. Die Situation der Tutsi Anfang der neunziger Jahre in Ruanda laesst sich etwa mit der, der deutschen Juden im aufkommenden Antisemitismus nach Hitlers Machtergreifung vergleichen. Die politische Fuehrung trieb erst mit Repressalien viele Tutsi ins Exil, bevor es zu konkreten Massnahmen im Land kam (Inhaftierungen, getrennte oeffentliche Verkehrsmittel etc.). Schliesslich loeste der Tod des damaligen ruandischen Praesidenten (ein bekennender Hutu) bei einem Flugzeugabsturz am 6. April 1994 den Pogrom gegen die Tutsi aus, der sich, gefoerdert durch mediale Hasspropaganda, schnell auf das ganze Land ausbreitete. Von diesem Tag an wurden ploetzlich Nachbarn, Bekannte, Kollegen, sogar eigene Ehepartner und Kinder zu Todfeinden und Mordopfern. Die UN, damals mit ca. 5000 Soldaten im Land, sowie die mediale Weltoeffentlichkeit, schauten dem Schlachten hilflos zu. Erst 10 Jahre spaeter gestand der damalige UN-Generalsekretaer Kofi Annan das damalige Versagen der internationalen Gemeinschaft oeffentlich ein.

Die Tatsache, dass Ruanda in der europaeischen Presse, nahezu ausschliesslich in Verbindung mit dem Voelkermord thematisiert wird, sorgte dafuer, dass auch wir uns bereits bei der Reisevorbereitung mit den Ereignissen von 1994 auseinandersetzten. Dennoch waren wir unsicher, wie sich wohl die Lage gestalten wuerde.
Wie gehen die Menschen in Ruanda mit dieser Kathastrophe 17 Jahre spaeter um?

Zunaechst stellten wir fest, dass ,wie bereits eingangs erwaehnt, der Voelkermord in Gespraechen weitgehend tabuisiert wurde. Ethnologische Denkmuster sind geaechtet und werden sogar strafrechtlich verfolgt. Es gibt keinen groesseren Fehler fuer einen Ruandatouristen, die Menschen hier ersteinmal nach der Ethnie zu fragen. Die Regierung setzt alles daran dieses Denken aus den Koepfen der Menschen herauszubekommen. Aufgrund der kurzen Zeit, die seitdem erst vergangen ist, ist ein subtiles Umgehen und Vermeiden dieses Themas jedoch kaum moeglich. Zu auffaellig sind die Luecken in den Familien, die Narben an den Koerpern und die zahlreichen Gedenktafeln an jeder Ecke Kigalis. Da es wohl keinen Ruander gibt, der nicht irgendein Familienmitglied oder einen engen Freund im Genozid verloren hat, traegt jeder seine persoenliche Leidensgeschichte mit sich herum. Auch Diejenigen (wie viele Kinder aus CPAJ), die zu dieser Zeit erst geboren wurden und seitdem als Waisenkinder aufwuchsen. Eine emotionale Distanz, wie wir sie beispielsweise vom Umgang vieler Deutscher mit dem Holocaust kennen, konnten wir hier nicht antreffen. Zu frisch, zu gegenwaertig sind die grausamen Erinnerungen – zu tief die Wunden bei vielen Kindern, Eltern und Familien. Auch wir konnten das deutlich spueren.

So kamen wir im Vorfeld der Gedenkwoche auch nur sehr selten mit wenigen engen Bekannten ueber den Genozid ins Gespraech. Sie schilderten uns in eindruecklicher Weise die Ereignisse und zeigten uns auch die zentrale Gedenkstaette in Kigali, an der fuer hiesige Verhaeltnisse sehr viel Geld in die Hand genommen wurde, um den Voelkermord ausfuerlich und anschaulich zu dokumentieren. Verwunderlich fuer uns war die emotionale Gefasstheit der Menschen. Ohne eine Miene zu verziehen zeigten sie uns Bilder von (uns mittlerweile bekannten) Strassen, die voller Leichen waren oder erzaehlten von Nachbarn, die ploetzlich ihre eigenen Kinder toeteten, indem sie sie an die Wand schleuderten – nur, weil ihre Mutter einer anderen Ethnie angehorte. Weinen gilt als Schwaeche in der ruandischen Kultur. Pascal sagte uns einmal: „Die Traenen der Maenner fliessen nach Innen.“Das machte es fuer uns nicht unbedingt einfacher.

Schliesslich nahm uns Albert am 7. April mit zur zentralen Gedenkveranstaltung im Stadion von Kigali, die die Gedenkwoche eroeffnete. Was wir dort erlebten, werden wir wahrscheinlich nicht mehr vergessen. In zumindest dieser einen Woche im Jahr, so wurde uns schnell klar, verwandelt sich die versuchte Verdraengung und Tabuisierung in bewusste, kollektive Erinnerung und schonungslose Konfrontation. So versammelten unter dem Motto „Upholding the truth – preserving our dignity“ Massen von, oft violett gekleideten Menschen (das ist die Farbe des Gedenkens) an diesem Morgen ab 8 Uhr im Stadion. Der gesamte oeffentliche Verkehr, sowie jegliche Art von Arbeit war an diesem Tag verboten. Die einzige Strecke, die befahren wurde, war die zum Stadion. Begonnen wurde, als es voll war – gegen 11 Uhr. Und voll – bedeutet in afrkanischen Fussballstadien ohne Stuehle (nur Baenke) wirklich voll. Die Zeremonie begann mit Filmsequenzen von Zeitzeugen, die von ihrem Schicksla berichteten. Entsprechende Bilder und Musik unterstrichen die geschilderten Grausamkeiten von Vergewaltigungen und Morden. In fuer uns fast unertraeglicher Anschaulichkeit wurde dem Voelkermord gedacht. Es folgten zahlreiche Reden u.a. von Praesident Kagame, sowie musikalische und choreographische Einlagen. Gegen 14 Uhr wurde die Veranstaltung fuer mehrere Stunden unterbrochen, bis sich gegen 18 Uhr wieder alle zur gemeinsamen Nachtwache im Stadion versammelten. Viele verbrachten die ganze Nacht dort. Fast noch mehr als das offizielle Programm erschuetterte uns das, was sich unmittelbar um uns herum abspielte. Das Volk ,das wir bisher als so lebensfreudig und froehlich erlebt hatten, umgab uns nun mit betroffenem Schweigen.  Wenn eine grosse Zahl von Menschen gemeinsam schweigt, hat das immer etwas sehr Dramatisches. Am krassesten jedoch war fuer uns, dass unmittelbar nach Beginn der ersten Filmsequenzen, zahlreiche Menschen (vor allem Frauen) anfingen traumatisiert zu schreien und wild um sich zu schlagen, sodass sie vom aerztlichen Notfalldienst aus dem Stadion getragen werden mussten. So etwas hatten wir Beide noch nie erlebt. Die unablaessigen, markerschuetternden Schreie begleiteten die gesamte Veranstaltung. Man konnte nur erahnen, welche Bilder und Schicksale zu diesen Schreien gehoerten.
Aufgrund der Dramatik der Veranstaltung waren wir nicht mehr in der Lage auch noch an der Nachtwache teilzunehmen, ausserdem verzichteten wir, aus nachvollziehbaren Gruenden, auch aufs Photographieren.

In den naechsten Tagen setzte sich das Gedenken fort: Zwar war der oeffentliche Verkehr wieder im Gange, gearbeitet durfte jedoch nur am Vormittag. Die Nachmittage und Abende waren fuer unzaehlige Gedenkveranstaltungen reserviert, die bewusst im privaten und lokalen Rahmen organisiert waren. Saemtliche Buerger Kigalis erhielten einen Art „Veranstaltungsplan“ fuer Ihr Stadtviertel, der sie dazu einlud sich an bestimmten Nachmittagen mit Nachbarn und Anliegern zu treffen, um Zeitzeugen zu hoeren, die darueber berichteten, was in genau diesem Viertel 1994 geschehen war und sich auszutauschen. Eine eigens dafuer eingerichtete staatliche Behoerde kuemmert sich um das Veranstaltungsmanagement. Meist endeten diese Veranstaltungen mit einem grossen Trauermarsch durch die Stadt. Zusaetzlich fanden einige zentrale Gedenkfeiern und Nachtwachen an signifikanten Orten des Geschehens oder des Gedenkens statt. Alkoholausschank und heitere Musik, sowie das Tanzen war in dieser Woche im ganzen Land verboten. Auch im Gottesdienst.

Obwohl fuer uns, der zentrale Gedenktag am 7. April sicherlich der Bewegenste war und dann auch, bei uns zumindest, wieder Normalitaet einkehrte, war es fuer uns eindruecklich zu sehen, welche Kultur des Gedenkens und Erinnerns ins Ruanda vorherrscht. Die Regierung setzt auf radikale Benennung der Fakten und Ereignisse, sie investiert viel Geld, um einen Rahmen fuer das Erinnern und Gedenken fuer alle Betroffenen im Land zu schaffen. Sie kaempft gegen das Vergessen, Verdraengen und Verharmlosen. Diese Politik findet grossen Anklang bei den Menschen. Obwohl die meisten wissen, wie sehr eine Konfrontation an die Substanz gehen kann, waren fast alle Veranstaltungen, an denen wir teilnahmen ueberaus gut besucht und das von allen Altersgruppen.  Das gemeinschaftliche Erinnern scheint den Umgang mit dem eigenen Schicksal fuer viele einfacher zu machen. Ganz im Sinne des Mottos „Upholding the truth – preserving our dignity“, geht es dabei nicht um eine juristische Aufarbeitung (dies ist noch ein ganz anderes Kapitel), sondern, um ein bewusstes Erinnern und Gedenken im Wissen, dass es nicht mehr rueckgaengig gemacht oder gesuehnt werden kann.  „Never again“ – war auf vielen Plakaten an Haeusern und Bussen zu lesen. Die Menschen muessen genau wissen was passiert ist, um es ja nicht wieder zu tun. Schonungslos. Das kann man von Ruanda lernen.

 

2 Gedanken zu „Die Genozid-Gedenkwoche

  1. Oli

    Aufschlussreiche Informationen! Ich werde mich damit mal intensiver beschäftigen! Freue mich auf neue Posts!

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